Die Herausgeber Kai Lehmannn und Michael Schetsche haben in diesem Buch zahlreiche Experten gebeten, sich mit dem Wandel unserer Gesellschaft und dem Wandel des Wissens, den die Digitalisierung hervorruft, auseinanderzusetzen. Herausgekommen ist dabei ein sehr kluges und anregendes Buch, nach dessen Lektüre der Leser sich fragt, warum mehr als ein Jahr nach Erscheinen die Tatsache, dass Personaler sich über Google Informationen über einen Bewerber besorgen, solches Aufsehen erregt. Natürlich schaut das Buch auch ein wenig hinter die Kulissen von Google und beleuchtet den Datenkraken kritisch. Es geht aber auch um viel wesentlichere Fragestellungen, wie dem Problem, Daten über einen längeren Zeitraum zu speichern, um nicht eines Tages vor einem Nichts an Erinnerungen zu stehen. Ein anregendes, ein aufregendes, ein politisches Buch!
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Buch 20/2006: Edgar Hilsenrath: Nacht
Es gibt Bücher, die sind so gewaltig, da verschlägt es einem sprichwörtlich die Sprache. Nacht von Edgar Hilsenrath gehört dazu. Vorweg: Dies ist keine Lektüre für den Nachttisch, sondern harte Lesearbeit. Hilsenrath schildert auf mehr als 600 Seiten den Überlebenskampf in einem jüdischem Ghetto während des 2. Weltkriegs. Er beschreibt die existentiellen Nöte der Menschen, den Hunger, die Verrohung. Die Handlung braucht keine Nazis, hier werden die Opfer oft genug selber zu Tätern, was sie zu Opfern macht. Hilsenrath beschreibt, wie den an Entkräftung oder Typhus Gestorbenen die Goldzähne herausgebrochen werden, um diese auf dem Schwarzmarkt gegen verfaulte Kartoffeln einzutauschen. Wer sich auf diese 600 Seiten einlässt, macht eine Grenzerfahrung, eine die sich lohnt. Wie es auch im Nachwort steht: Hier hat ein Autor den Kaddisch für sein Volk geschrieben.
Buch 19/2006: Judith Kuckart: Kaiserstraße
Das Buch Kaiserstraße begleitet die Geschicke einer deutschen Familie durch vier Jahrzehnte. Alle zehn Jahre wird die Zeit angehalten und ein Schnappschuss auf die Entwicklung gemacht. Neben den Geschicken ihrer Protagonisten spiegelt Judith Kuckart damit auch die (bundes-)deutsche Geschichte. Und dies macht sie vorzüglich. Auf jeder Seite ist das Talent der Autorin zu spüren. Fein beobachtete Details, in ihrer Psyche plausible Figuren werden in einer Sprache beschrieben, die ich als “süffig” bezeichnen möchte. Das Buch war sehr kurzweilige Lektüre.
Buch 18/2006: Ian MacEwan – Abbitte
Was für ein Roman! Was Ian MacEwan auf 500 Seiten beschreibt, verstört und fesselt zugleich. Es ist fulminant geschrieben (ein Lob den Übersetzern), kurzum: ein literarisches Meisterwerk!
Alles beginnt damit, dass die junge Briony, die Literatin werden möchte, einen für ihre Schwester bestimmten Brief öffnet und am Abend des minutiös geschilderten Sommertags ihre Schwester beim Liebesspiel in der Bibliothek überrascht. Mit einer Falschaussage lädt das junge Mädchen Schuld auf sich und greift in das Leben dreier Menschen ein.
Zu diesem Zeitpunkt hat die Handlung aber bereits zu galoppieren begonnen. Man begegnet den Protagonisten zum Zeitpunkt des Wunders von Dünkirchen wieder…
Unbedingt lesen!!!
Buch 17/2006: Stefan Zweig: Ungeduld des Herzens
Erst wollte ich das Buch gar nicht kaufen, da der Titel doch recht schwülstig klang. Der Wunsch, etwas von Stefan Zweig zu lesen wart stärker und so nahm ich eben heim.
Angefangen mit der Lektüre konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen. Wie sich der k. u. k. Leutnant Miller durch sein Mitleid (das Zweig einmal als “Ungeduld des Herzens” bezeichnet) in einem Gespinnst aus Ehrekodex und Lügen verstrickt, schließlich einer Gelähmten einen Verlobungsantrag macht und sie damit in den Tod treibt, ist absolut lesenswert. Der Roman, der eher eine Novelle ist, erzählt damit zugleich vom Ende der österreichischen Monarachie im Jahre 1918.