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Viola Roggenkamp: Familienleben

Ich habe dieser Tage das wunderbare Buch “Familienleben” von Viola Roggenkamp beendet. Die bekannte Publizistin stellt damit ihren ersten Roman vor. Vorweg: Das Debüt in diesem Genre ist vollkommen gelungen.

Mit viel Witz erzählt die Autorin das Familienleben eines jüdischen Frauenhaushalts im Hamburg der 60er Jahre. Alma Schiefer ist das Oberhaupt der Familie, das über das Treiben der Kinder wacht, sie besorgt versucht von der Aussenwelt abzuschirmen. Fania, 13 Jahre alt, die Ich-Erzählerin und Hauptperson des Romans, hadert mit der deutschen Sprache und ihren Klassenkameradinnen. Aufmerksam beobachtet Sie die Entwicklung Ihrer größeren Schwester und wartet dabei fast verzweifelt auf ihre erste Periode, auf das Ende der Kindheit.

Nur an den Wochenenden ist auch der Vater Paul anwesend, der als Handelsvertreter für Brillengestelle die Woche über unterwegs ist und mit dessen Hilfe die Mutter das Dritte Reich überlebt hat. Als sich dann die Gelegenheit für die Familie zu ergeben scheint, dass Haus, in dem die Familie lebt, zu erwerben, muss Alma aktiv werden.

“Familienleben” ist ein rührendes, zugleich witziges Buch. Ein Zeitgemälde der Bundesrepublik in den 60er Jahren und zugleich ein Entwicklungsroman.

Kurzum: Absolut *lesenwert*.

Warum ich Genazino mag

Ich mag Wilhelm Genazino, nicht erst seit er von der breiten Öffentlichkeit ent- und mit dem Büchner-Preis 2004 eingedeckt wurde. In seinen Werken finden sich wunderbare, sprichwörtlich “nach”-denkenswerte Aussprüche. Zuletzt habe ich von ihm “Ein Regenschirm für diesen Tag” gelesen.
Sprachlich wunderschön und witzig schildert Genazino hier die Merkwürdigkeiten unseres Alltags. In einer Leichtigkeit, einem Plauderton, wie ich ihn auch an Fontane schätze, gelingt es ihm, uns allen unsere Umwelt vorzuhalten, die plötzlich in einem anderen Licht erscheint. So bemerkt der Titelheld auf einem seiner Spaziergänge als Tester für Luxusschuhe:

“Endlich gelingt es mir, die Jugendlichen interessant zu finden. Gleich fünfmal müssen sie ausdrücken, daß sie jung sind: durch die Zappeligkeit ihrer Körper (1), durch die Gegenstände (Cola, Popcorn, Comics, CDs) in ihren Händen (2), durch ihre Bekleidung (3), durch ihre Musik, dargestellt durch Stöpsel in den Ohren und Drähten um den Hals (4), und durch ihren Slang (5).”

Und schon hält dieser Autor einem den Spiegel der eigenen Vergangenheit vor. Ich wünschte mir mehr Werke wie dieses in der deutschen Literatur.

Kostbares Wissen, das die Welt (eigentlich) nicht braucht

Wissen Sie, woher sich die Härtegrade von Bleistiften ableiten? Kennen Sie die Tragzeit von Erdferkeln? Wissen Sie, was eine Turiner Skala ist? Ich bisher auch nicht: Eine Quelle solchen skurilen, amüsanten Wissens ist Schotts Sammelsurium von Ben Schott. Das Büchlein mit seinen knapp 150 Seiten ist fesselnd und unterhaltsam. Etwas vergleichbares habe ich bisher noch nicht gelesen. Eine Website zum Buch gibt es auch.

Julien Green – der Meister

Dieser Tage habe ich “Leviathan” von Julien Green (Ausgabe der SZ-Bibliothek) beendet. Ein wundervolles Buch, das sich nicht nur durch seine sprachliche Meisterschaft auszeichnet, sondern von der Feinheit der psychologischen Beobachtung lebt. Mit einem Paukenschlag läßt Green das komplexe Geflecht der gegenseitigen Abhängigkeiten seiner Protagonisten aufbrechen, wodurch auch das Tempo des Buches selbst gewinnt. Verschmähte Liebe, Entäuschungen, Leere
der eigenen Existenz; es sind diese Motive die am Ende zur Katastrophe führen.