Journalistischer Standesdünkel und andere Schwernisse

Oliver Schwarz ist ein erfolgreicher Mann, dessen Karriere ich seit knapp 10 Jahren begleite. Nicht, weil ich mit ihm befreundet wäre; tatsächlich sind wir uns bewusst persönlich noch nie begegnet. Aber Oliver Schwarz verantwortete in den letzten Jahren häufig die Pressearbeit von Unternehmen, über deren Produkte ich berichten musste oder wollte. So leitete er die Kommunikation von 3COM, dem früheren Hersteller von PalmPilots, nachdem diese ncht mehr unter dem Label US Robotics liefen.

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Um an Pressemuster und Pressemitteilungen zu gelangen, musste sich der Journalist bei 3COM in einem Pressebereich registrieren. Erst danach gab es Zugriff auf die Internetseiten des Unternehmens, die ausschließlich Journalisten vorbehalten sein sollten. In regelmäßigen Abständen erhielt der registrierte Journalist dann per Post eine so genannte Presse-CD, auf der sich allerlei Texte und Bilder zu neuen Produkten aus dem Hause 3COM befanden. Die CD, ich geb’s zu, habe ich immer weggeschmissen, denn mein Interesse galt ausschließlich den PalmPilots. Die Netzwerkkarten und Modems aus dem gleichen Hause waren mir schlicht egal.

Nun kommuniziert der Oliver Schwarz für Web.de. Um an die Pressemitteilungen des Unternehmens zu kommen, muss man sich erstmal für den geschlossenen Bereich registrieren. Kommt Ihnen bekannt vor, oder? Mir auch. Bestimmt gibt es dann bald auch quartalsweise die “Web.de Presse CD”, die ich dann wieder wegschmeissen kann.

Nun will ich weder auf der Pressearbeit von Web.de herumreiten, noch die Arbeit von Oliver Schwarz bewerten. Darum geht es an dieser Stelle gar nicht.

Jedem Unternehmen, das seine Pressemitteilungen im Internet publizieren will, stellt sich die Frage, ob es denn ein freier oder ein geschlossener Pressebereich sein soll. Genau dieser Frage hat sich in der Ausgabe 3/2005 auch das Verbandsorgan “Pressesprecher” gewidmet. In einem Artikel ist mir ein Abschnitt besonders aufgefallen. Da wird Dirk Jasper, als Autor des Buches “Online PR” zitiert:

“Seriöse Journalisten müssten sich weigern, über Unternehmen zu schreiben, deren Pressemitteilungen von jedem einsehbar sind, weil damit dem eigenen Beruf der Boden entzogen wird.”

Ja, klar: Sonst könnte ja auch gleich jeder Blogger daherkommen und die exklusiven Pressemitteilungen einfach nutzen Das kann und darf ja nicht sein, oder?

Ich kenne in diesem Gewerbe nun seit mehr als 10 Jahren so ziemlich jede Seite des Schreibtisches. Ich war Redakteur einer längst vergessenen Internet-Zeitschrift, arbeite frei als Autor und Journalist und verbringe die meiste Zeit meines Lebens derzeit als Pressesprecher einer Unternehmens, das seinen Pressbereich ganz bewusst öffentlich lässt.

Wenn ich solche Zeilen lese, frage ich mich allerdings, wieso ein Berufsstand, dessen Ansehen in der öffentlichen Meinung nicht gerade wohlgelitten ist, sich diesem Dünkel ergibt. Trotzreaktion? Angst vor Konkurrenz?

Dazu passt eine Diskussion in einer Mailing-Liste von Journalisten vor einigen Wochen, in deren Verlauf ein Teilnehmer einen Widerspruch in sich zwischen den Worten “Redakteur” und “PR” zu entdecken meinte. Nur ausgebildete Redakteure (das Wort kommt übrigens von redigieren, was nichts anderes heisst, als einen Text druckfertig zu machen) und Journalisten als einzige Quelle der öffentlichen Meinung?

Klar, wer wie Jasper und der hier nicht erwähnte Teilnehmer argumentiert, hat mit Sicherheit ein Problem mit freien Lizenzen, wie sie bei der Wikipedia genutzt werden, oder auch mit dem Phänomen der Blogs. Gerade letztere sind im Moment das Thema der Verbands- und Standeszeitschriften.

Wie lassen sich Blogs für die Kommunikation eines Unternehmens nutzen, wie kann “schlechter” Berichterstattung über das Unternehmen gegenübergetreten werden? Über diese Fragen zerbrechen sich derzeit einige kluge Menschen aus der Kommunikationsbranche sprichwörtlich die Köpfe. Ob sie darauf eine Antwort finden? Bestimmt – in Kürze wird es (Krisenkommunikation, ick hör dir trapsen) Anleitungen und Schritt-für-Schritt-Pläne für jedermann geben, wie sich die Blogosphäre instrumentalisieren lässt und wie man dieses Pack der “Pseudo-Journalisten” von den heiligen Informationsquellen ausschliessen kann.

Bleibt zu wünschen, dass sich die kreative Energie des Internet einmal mehr als der Sieger erweist und sich noch ganz viele Pressestellen dafür entscheiden, ihre Informationen öffentlich anzubieten.

Ein Gedanke zu „Journalistischer Standesdünkel und andere Schwernisse

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