Wie
vielleicht bekannt, vertrete ich die SPD in meiner Heimatstadt in der
Stadtverordnetenversammlung und in diversen Ausschüssen. Wahrscheinlich wissen
Sie als regelmäßiger Leser auch, dass ich verschiedentlich Ahrensburg als
Beispiel für die missliche Situation im stationären Handel verwendet habe.
Sonst schauen Sie gern einmal bei etailment.de ins Archiv.
Nun
hatten wir gerade eine Sitzung des Finanzausschusses. Wichtigster Punkt auf der
Agenda. Die Einführung von „Stadtgeld“ für Ahrensburg nach dem Vorbild von
Marburg.
Die
missliche Situation sind die Mehrheitsverhältnisse hier am Ort. Denn die Grünen
und die CDU halten in allen Gremien eine komfortable Mehrheit. Dummerweise
hatten sie vor der Wahl lediglich vergessen, ihre Koalition auch dem Wähler mitzuteilen.
Das macht die Durchsetzung vernünftiger Argumente oft recht schwierig, denn wir
reden von Kommunalpolitik.
Wenn
Sie sich also schon häufiger gefragt haben, welche Sachkenntnis einen
Berufspolitiker eigentlich für seine Aufgabe qualifiziert, nehmen wir als
fiktives Beispiel mal den Bundesverkehrsminister, dann stellen Sie sich das auf
Kommunalebene noch einmal viel schlimmer vor.
Das
Stadtgeld für Ahrensburg – künstliche Beatmung vor der Insolvenz
Nun,
um Ihnen einen Klick zu sparen. Auf Basis des Marburger Vorbilds sollen auf Antrag der
Grünen und der CDU die Ahrensburger Bürger 30 (Erwachsene) bzw. 50 Euro (Kinder) als
Gutschein erhalten, den sie dann in Ahrensburger Geschäften zum Einkauf nutzen
können. Dazu soll die Stadt bitte schön 1,3 Mio. Euro als Kredit aufnehmen.
Begründet
wurde diese durchaus nennenswerte Verschuldung (immerhin 10 Prozent des
Kassenkreditvolumens der Stadt) im mündlichen Vortrag durch die Grünen damit,
dass man „glaube“, das jetzt tun zu müssen, um die Läden in der Innenstadt zu
retten. Man könne zwar nicht beweisen, dass das etwas nutze, aber man müsse
jetzt schnell handeln, weil man „glaube“, dass vielen Händlern das Wasser bis
zum Hals stünde.
Moment,
„Glaube“ als Begründung für einen Kredit, an dem die beschenkten Einwohner dann
noch Jahre abzahlen? Scheint eine durchaus stabile Brücke zu sein, über die man
da schreiten soll.
Es
entspann sich eine lebhafte Diskussion. Die Mehrheitsfraktionen waren
augenscheinlich überrascht davon, dass die anderen Parteien da nicht sofort
mitgehen wollen. Ich habe im mündlichen Vortrag ebenfalls Bedenken angemeldet.
Letztlich führte das dann zur Aussage des Fraktionsführers der
Mehrheitsfraktion, dass SPD und FDP schuld daran sind, wenn die Innenstadt
stirbt. Letztlich der Auslöser für diesen Beitrag.
Als
besonders erhaltenswerte Geschäfte, denen auf Pump künstlich Luft zugefächelt
werden soll, wurden exemplarisch ein „Jeans-Geschäft“ und ein kleiner Laden mit
Holzspielzeug und Schulranzen genannt. Und das leitet mich dann über zu dem
Thema:
Intermezzo: Zwei Läden, für die es schwer wird
Sie
sind bestimmt keine Ahrensburger, deshalb ein paar Worte zu den beiden
exemplarisch genannten Geschäften.
In dem besagten Jeansladen habe ich vor über 40 Jahren auch schon mal eine Jeans gekauft. Nun wird es nostalgisch. Aber die jüngeren unter Ihnen werden sich nicht vorstellen können, was für ein Krampf der Einkauf von Jeanshosen Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre war. In Kaufhäusern waren die Dinger kaum zu bekommen, schon gar nicht irgendwelche Markenjeans. Und Ende der 70er Jahre waren Jeans halt „in“. So gab es in Ahrensburg sogar drei solcher Läden. Zwei davon hat der heutige Store auch überlebt. Aber seitdem nichts geändert. Ja, es gibt Hosen bis unter das Dach. Der Inhaber ermittelt die Größe eines Kunden durch bloßes Anschauen. Das ist alles toll. Wirklich!
Aber wer nicht mit der Zeit geht, geht eben mit der Zeit. Homepage? Fehlanzeige! Besondere Marken, die junge Leute attraktiv finden? Fehlanzeige! Ein einladender Store? Fehlanzeige! Das genügt heute eben nicht mehr, weil die ursprüngliche Zielgruppe, pardon, immer älter wird und junge Konsumenten nicht adressiert werden.
Ähnlich verhält es sich mit Laden für Holzspielzeug. Ja, das war vor 30 Jahren auch eine tolle Idee. In den Spielzeugabteilungen quietschte und piepte es und fast alles war aus Kunststoff. Aber wir sind 30 Jahre weiter. Eltern sind preisbewusst. Immer. Und Tiere von Schleich, Brio-Bahnen und andere Produkte kauft man eben preiswerter im Internet. Denn beratungsintensiv ist daran nun leider gar nichts. Die Brio-Bahn kommt binnen 24 Stunden via Amazon & Co zu mir. Mit Zubehör und allem. Wenn ich will sogar als Geschenk verpackt. Auch Spielzeug ist ein schwieriges Segment, es sei denn, man schafft eine herausragende Spezialisierung (Lego, Slotcars etc.).
Warum Ahrensburg nicht Marburg ist
Auch
hier erspare ich Ihnen etwas Arbeit. Marburg hat zweimal so viele Einwohner,
ist Universitätsstadt und besitzt ein Gewerbesteueraufkommen, dass Ahrensburg
locker in den Schatten stellt. Und vor allen Dingen hat Marburg das Stadtgeld
nicht auf Pump finanziert.
Marburg
musste aber in der Diskussion ständig als Beispiel herhalten, weil (welche
Sensation) die Bons höher als die Gutscheine ausfielen. Das könne ja auch in
Ahrensburg der Fall sein. Womit wir wieder im Bereich des Glaubens sind.
Beginnen
wir mal mit den Voraussetzungen. Man braucht kein Statistiker zu sein, um schon
mal a priori die Vermutung anzustellen, dass die Altersstruktur in Marburg als
Universitätsstadt eine ganz andere als in Ahrensburg ist.
Um
die Verwaltung der Gutscheine kümmerte sich in Marburg das junge Unternehmen
Youbuyda (das auch im Antrag hier in Ahrensburg erwähnt wurde). Es wäre ja
durchaus denkbar, dass junge Leute wie Studenten sich tatsächlich stärker
online über solche Gutscheinaktionen informieren als der durchschnittliche
Ahrensburger. Aber das ist Spekulation.
Marburg
besitzt einen ausgeprägten gastronomischen Schwerpunkt. Wenn ich also mit
meinem 30 Euro Gutschein einen trinken gehe, werde ich den Abend sicherlich
nicht bei 30 Euro beenden (wenn es gemütlich war). In Ahrensburg ist das
gastronomische Angebot deutlich kleiner.
Und
die Zahl der inhabergeführten Lädchen auch inzwischen überschaubar. Die
Einwohner würden also das Geld wohl eher zu so notleidenden Ahrensburger
Unternehmen wie Deichmann, C&A, Kik, Tedi oder Woolworth tragen (müssen).
Der
größte Unterschied bleibt aber die Finanzierung. Denn Kredit ist eben Kredit.
Wir nehmen also erst einmal Geld, das wir gar nicht haben, weil wir daran
glauben, dass es notleidenden Firmen hilft, wenn wir das Geld unabhängig von
der Einkommenssituation an die Einwohner verschenken, die es uns dann indirekt
über Steuern und Abgaben wieder zurückgeben.
Populismus
in allen Ehren. Aber das ist Wirtschaftspolitik die ein Milchmädchen als
BWL-Genie erscheinen lässt.
Ich
bin übrigens auch Mitglied im Ausschuss, der sich mit Bildung und Kultur
beschäftigt. Wie soll ich eigentlich Eltern erklären, dass die Stadt 1,3 Mio
Euro für Geschäftsleute in die Hand nehmen will, aber nicht für digitale
Arbeitshilfen in Schulen oder deren Modernisierung?
Warum die Innenstadt in Ahrensburg mit Stadtgeld nicht zu retten ist
Der
Erfolg eines Stadtgelds steht sprichwörtlich in den Sternen. Denn nach allen
aktuellen Berichten, mit denen ich es ja täglich zu tun habe, hat die Senkung
der Mehrwertsteuer im stationären Handel keinen Turbo gezündet. Mal abwarten,
wie es mit dem Kindergeldbonus wird. Gegen diese Summe bleibt ein Stadtgeld
eine nette Geste.
Aber
machen wir uns mal nichts vor, die Leute gehen nicht deswegen nicht in die
Geschäfte, weil sie kein Geld mehr haben (die Konsumbarometer erholen sich ja
inzwischen), sondern weil sie persönlichen Begegnungen aus dem Weg gehen
wollen, plötzlich das Online-Shopping für sich entdecken und Bummeln mit Maske
eher nicht jedermanns Sache ist.
Das
alles ändert aber nichts an der grundsätzlichen Situation der Ahrensburger
Innenstadt, die beispielsweise für den von mir sehr geschätzten Professor Dr.
Gerrit Heinemann fast als Labor dienen könnte.
- Auch wenn ich mich hier bei Parteifreunden in
die Nesseln setze. Man kann, wie in Hamburg, eine Innenstadt soweit möglich
autofrei machen. Als notorischer Nicht-Autofahrer ist das für mich auch nicht
schlimm. Aber keine Zufahrten und keine Parkplätze ohne Ausbau des ÖPNV ist
halt vielleicht doch keine gute Idee gewesen. Gerade unser Städtchen lebt von
seinem Umland. Und die Kunden, die von dort mit dem Auto kommen, sind eher die
Angehörigen meiner Generation und Älter. Die kommen eben mit dem Auto, wenn es
keine andere Möglichkeit gibt. Und die gibt es eben nicht. Denn mal im Ernst:
Wenn Sie zwischen 16 und 25 sind, und es keine 20 Minuten dauert, und sie
können in bekannten Einkaufsmeilen wie Neuer Wall, Mönckebergstraße oder
Jungfernstieg bummeln, würden sie es dann in einer sehr kleinen Innenstadt tun?
Wir brauchen also Möglichkeiten, damit Menschen meiner Generation und die
Älteren auch zu den Geschäften kommen. Parallel sollten wir aber auch darüber
nachdenken, wie die Innenstadt attraktiv sein kann, wenn die Geschäfte weniger
werden.
- Ach ja. Die Innenstadt. Seit Jahren diskutiert
die Politik hier am Ort über Quartiersmanagement und Stadtmarketing. Passiert
ist wenig. Ein paar inhabergeführter Boutiquen, jede Menge Apotheken, Friseure
beschreibt schon den „Mix“ des Angebots. Dazwischen dann Kleinodien, für die
die Zeit bis zum Ende des
Geschäftsmodells unweigerlich tickt. Attraktiv wird eine Innenstadt
nicht dadurch, dass man etwas Mobiliar aufstellt, sondern als Gemeinde sich
aktiv mit Vermietern und Geschäftsleuten an einen Tisch setzt, um das Angebot
attraktiv zu machen.
- Und schließlich (auch wenn es bereits
angeklungen ist): Wir schreiben das Jahr 2020, das bedeutet E-Commerce, Multi-
und Omnichannel. Gerade all den Komfort, den inzwischen auch Ältere dank Corona
zu schätzen wissen. Von Bestandsabfragen über Lieferdienste oder wenigstens
einen vernünftigen Onlineaufritt. Eine Spezialisierung des Stores: Denn weder
in der Breite und der Tiefe des Sortiments kann es ein Geschäft auf 200-300
Quadratmetern nicht mit Marktplätzen aufnehmen.
Diese
Fakten liegen alle schon lange auf dem Tisch. Nur weite Teile des Handels
schalten hier auf stur. Das stimmt mich traurig, denn das Ergebnis ist
vorhersehbar, wie im Falle Karstadt. Da hilft auch kein Stadtgeld.