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Social Media in vier Akten oder: Dabeisein ist alles

Wer sich für soziale Phänomene im Internet interessiert, kommt momentan stark auf seine Kosten. Die Schlagzeilen jagen einander und wir befinden uns augenscheinlich in einem wahrem Goldrausch. Da versucht eine Akademie für Social Media, von einer Agentur aber sicherlich nur wegen des Bildungsanspruchs gegründet, Unternehmen und Privatpersonen in der hohen Kunst der Kommunikation zu unterweisen. Und just gestern stellten verschiedene Tageszeitungen überrascht fest, dass Facebook inzwischen zu den größten Staaten der Erde zählt. Der Vergleich ist übrigens nicht so richtig neu. MySpace war mal so groß wie Brasilien, dann kam Facebook. Und eigentlich warte ich jetzt nur noch darauf, dass mein Metzger um die Ecke einen »I like«-Button hat. Bewegte Zeiten…

Aber betrachten wir einmal die Chronologie der Ereignisse. Sie können dabei übrigens den Begriff »Social Media« nach Belieben durch andere Erscheinungen der Vergangenheit ersetzen: Datex-J, Compuserve oder AOL, World Wide Web, Second Life.

Vorspiel

Der Nerd an und für sich ist von den grenzenlosen Möglichkeiten seines Spielzeugs überzeugt. Tolle neue Möglichkeiten eröffnen sich damit. Unmittelbare Kommunikation mit anderen. Er ist ganz aufrichtig fasziniert von den Dingen, die er da nutzt und würde sich wünschen, dass mehr Menschen daran teilhaben. Instinktiv folgt er damit der Erkenntnis, das eine solche technische Plattform erst einmal wertlos ist und ihren Wert erst daraus bezieht, dass möglichst viele Menschen die Plattform ebenfalls einsetzen.

1. Akt: Auftritt der geschäftstüchtigen Nerds

Unter den Nerds bildet sich eine kleine Gruppe heraus, in denen die Überzeugung wächst, dass sich mit ihrem Hobby doch irgendwie auch Geld machen lassen muss. Und so trauen sich die ersten, bei großen und kleinen Beratungsunternehmen in Kapuzenshirt stehend an der Tür zu kratzen, um dort die erste unbeholfenen Präsentationen zur »nächsten großen« Sache zu halten. Der geschäftstüchtige Nerd erhält sofort einen Arbeitsvertrag und darf sich anschließend Director nennen. Seinem Hobby darf er immer noch frönen, muss aber selbstverständlich betonen, dass nur er ein echter Nerd ist, der von der neuen großen Sache etwas versteht. Wenn die Maschinerie aus inzestuöser Branchenberichterstattung, von der die Publikumsmedien ohnehin dankbar abschreiben, in Gang gekommen ist, dauert es nicht mehr lang und die kritische Masse ist erreicht. Und während in den USA, wo die Nerds halt abgeschaut haben, die Karawane längst weiterwandert, blühen die Geschäfte. Führende Unternehmen werden angesprochen und davon überzeugt, die neue große Sache unbedingt einmal auszuprobieren. Denn nur die großen Unternehmen haben die finanziellen Mittel, um auch einmal in solche Experimente zu investieren. Das tut ihnen zwar genauso weh wie kleinen Firmen, aber sie können es besser in den Bilanzen verstecken.

2. Akt: Auftritt Geschäftemacher

Nun berichten die Medien über das nächste große Ding. Größere Unternehmen präsentieren sich wie immer als innovativ und weisen darauf hin, dass sie das alles schon verstanden haben und auf jeden Fall dabei sein müssen, um ihre Zielgruppen zu erreichen. BDZV und VDZ beratschlagen erst einmal lange, wie sich das nutzen lässt und vor allem welche Auswirkungen das auf das Rubrikengeschäft und vor allem den Anzeigenmarkt hat. Genügend andere Glücksritter sind hemmungslos begeistert: Von gefrusteten Bankangestellten bis zum vom Personalabbau dahingerafften Redakteuren wird das Eisen geschmiedet, so lange es heiß ist. Ratgeberliteratur erscheint aller Orten: »Das nächste große Ding für Finanzdienstleister, das nächste große Ding für Unternehmer, das nächste große Ding für Handwerker«. Alle machen mit und es wird gezwitschert ohne Sinn und Verstand. Chefs mittelständischer Unternehmen nehmen in einem Blog Stellung zu Fragen der Zeit. Und genauso wie der Titel, lesen sich dann auch die Beiträge, die dann eigentlich gar kein Blog sind, sondern auf jeder anderen Webseite auch hätten erscheinen können. Und natürlich braucht jeder einen »Mir gefällt das nächste große Ding«-Button auf seinen Internetseiten.

3. Akt: Aufwachen der Kunden

Tusch: Die Streitmacht der Controller tritt auf den Plan und als Deus ex machina segelt der gesunde Menschenverstand vom Himmel. »Was genau bekomme ich jetzt eigentlich für mein Geld?«. »Was habe ich eigentlich davon, dass 1500 Leute sagen, meine Produkte gefallen Ihnen?«. »Welchen Nutzen ziehe ich daraus, in einer heterogenen Masse eines der grössten Staaten der Erde zu stecken?« – Diese Fragen drängen sich langsam in den Vordergrund. Gefahr droht und flugs findet die gesamte Beraterriege heraus, dass tatsächlich der ROI dieser Maßnahmen noch etwas fraglich ist und nicht feststellt wurde. Das betonen natürlich auch die Glücksritter, denn die haben wirklich keine Beschäftigung mehr, wenn der Hype vorbei sein sollte.

4. Akt: Rückschau auf die tolle Zeit und Einlass der neuen Nerds

Wer es sich leisten kann, belässt sein Engagement im nächsten großen Ding, um nicht das Gesicht zu verlieren. Der Rückzug ist dann eher leise. Statt einer vollmundigen Erklärung, sich wegen ausbleibenden ROIs zurückzuziehen, wird das Engagement zurückgefahren. Auf Seiten der Berater wird betont, dass dies oder jedes wider Erwarten nicht funktioniert habe, dass sich das Umfeld gewandelt hat etc. Doch ehe die Diskussionen intensiver werden, klingelt es gerade an der Tür. Draußen steht ein junger Mann mit einem Kapuzenshirt. Seit Jahren nutzt er jetzt eine tolle Sache…das wird das nächste große Ding. Bestimmt!

Wir befinden uns meiner Ansicht nach derzeit im 3. Akt. Ich bestreite, dass es so etwas wie Social Media jemals gegeben hat , aber dazu wird an anderer Stelle noch zu sprechen sein. Es gibt Kommunikation mit Kunden und Interessenten sowie Bedürfnisse und Wünsche von Menschen, die diese auch im Raum des Internet ausleben und erfüllt sehen wollen.

Gerade für kleinere Unternehmen können sich ganz hervorragende Möglichkeiten zur Positionierung und zum Dialog mit Kunden in sozialen Netzwerken ergeben. Aber dazu muss man aktiv mit gestalten und nicht nur dabei sein wollen. Vor allem gehört aber gesunder Menschenverstand und eine Portion Kritikfähigkeit dazu, um nicht weiter auf die reinzufallen, die auch keine Ahnung haben, woher der ROI stammen soll, aber betonen, dass sie besonders professionell keine Ahnung haben, weil sie das nächste große Ding schon besonders lange nutzen.

Mein Top 5 der nervigsten Dinge im Internet

Platz 5: DSL Zwangstrennung

Erscheint mir manchmal wie ein Relikt aus der Steinzeit. Und die Trennung der Leitung durch die Provider, in der Sorge, jemand könnte an seinem DSL-Anschluss einen Webserver betreiben, passiert immer gerade dann, wenn man sie nicht brauchen kann. Besonders ätzend, wenn dadurch Hardware, die vom Provider stammt, aus dem Tritt gerät und sich eine Settop-Box einfach aufhängt.

Platz 4: SEO

Haben Sie mal ernsthaft versucht, relevante Produktinformationen zu irgendwas per Google zu finden? Inzwischen stehen solche Sachen auf der Seite 2 der Suchergebnisse. Den SEO-Heinis ist es erfolgreich gelungen, die ersten Seiten mit Links zu diversen Shops und Angeboten wie «Alles, noch viel billger» zu verstopfen. Und das für die Branche vielleicht erschütternde: Es gibt reichlich Beispiele für populäre Angebote und Rankings, die ganz ohne Trickserei von ansonsten arbeitslosen Diplom-Informatikern auskommen.

Platz 3: Schlechte Targeting Anzeigen

Ja, holla: Nur weil ich mich «einmal» für das Thema Schreibtischmöbel interessiert habe, bedeutet das ja nun nicht, dass das zu meinen Hobbys gehört und ich ständig auf solche Anzeigen stoßen will.

Platz 2: Das Gequatsche um Social Media Newsrooms

Es geht dabei nicht einmal um die geradezu erbärmlich einfache Umsetzung, die heute jeder Schüler mit zwei Plugins und einem WordPress hinbekommt. Sondern um das Aufblasen eines total irrelevanten Themas: Ein Pressebereich bleibt ein Pressebereich. Wichtig ist, dass das Unternehmen etwas zu sagen hat. Und wer nichts zu sagen hat, macht sich mit dem teuer bezahlten Social Media Newsroom nun auch nicht interessanter. Aber richtig nervig sind dabei die Agenturwillis, die Broadcasting mit Kommunikation verwechseln.

Platz 1: Sascha Lobo

Mein Kaffeevollautomat produziert ähnlich viel heiße Luft, nur damit (genauer mit dem Wasserdampf) kann ich wenigstens Milch schäumen. Damit hat das Ding eine Funktion, Sascha Lobo nicht.

Kapuzenshirts und Social Media

Holla, heute bewegt die miteinander vernetzte Socialmediadingens-Szene auf Twitter der Begriff der Kapuzenshirts. Hintergrund ist ein Artikel in der absatzwirtschaft, in dem der Autor, inzwischen als Führungskraft beim Hamburger Unternehmen achtung tätig, vor genau den solche Pullover tragenden Amateuren andere bewahren will. Klar, denn genau wie Marketing viel zu wichtig ist, um es Marketingfachleuten zu überlassen, zeigen ja nur Kommunikationsprofis die notwendige Expertise, um wirkungsvoll in diesem Teufelsweb zu kommunizieren.

Ich will jetzt mal nicht die berühmte Kirche zitieren, die lieber in der Ortsmitte verbleibt, aber gerade weil wir ja alle solche Profis sind, darf man sicherlich erwähnen, dass ein Großteil des Personals in alle den Agenturen gar nicht Kommunikationswissenschaft studiert hat. Wir treffen dort auf viele studierte Germanisten, Historiker und Sozialwissenschaftler. Wozu werden die eigentlich gerechnet? Amateurliga? Oder adelt die Agenturluft einen automatisch zum Profi, wenn man die ersten zwei Jahre eifrig und unterbezahlt den telefonischen Ausputzer für einen Berater spielen musste?

Und wer sich die Viten des einen oder anderen Agenturgeschäftsführers so ansieht, ist dann überrascht auf Radio- und Fernsehmoderatoren oder gar ebenfalls nur Lehramtskandidaten zu treffen. Auch und gerade bei der vom Autoren genannten „handvoll“ Agenturen, die sich in Deutschland mit Social Media auskennen.

Liebe Leute, nur gut, dass Ihr in den Unternehmen immer auf die ewig gleichen Amateure trefft, die den ganzen Socialmedia-Hype nicht so im Detail verfolgt haben. Denn es geht doch, machen wir uns mal nichts vor, um Besitzstandswahrung. All die Häuser und Wohnungen, Autos und Kinder müssen finanziert und aufgezogen werden, da dürfen ja keine Kapuzenshirt-Träger auch nur einen Euro an Euch vorbei aus den Kommunikationsetats der Unternehmen abziehen, gell? Und so philosophieren sie denn noch heute und klatschen bezaubert in die Hände, wenn es gelungen ist, aus einigen schnöde zusammengestöpselten RSS-Feed für teures Geld einen „Social Media Newsroom“ zu bauen und zu verkaufen.

Gut, dass Ihr heute im Anzug zu den Unternehmen fahrt und erst daheim wieder das Kapuzenshirt anzieht, in denen Ihr noch vor fünf Jahren selbst an die Türen der Agenturen geklopft habt.

Herrlich, SocialMedia wie es sein kann

Als meine Gattin und ich am Samstag am späten Abend aus dem Theater zurückkamen, schaltete ich noch einmal den Fernseher ein und dank Alice empfange ich ja jetzt wieder Kanäle, die ich schon lange vergessen hatte. Darunter auch QVC. Es lief gerade eine Sendung zum Thema Computer und Zubehör, wo ein Notebook als Tagesangebot angepriesen wurde. Das war aber gar nicht wichtig, denn die beiden Moderatoren waren besonders stolz auf die offizielle Facebook-Seite.

Und da das Tagesangebot ja auch WLAN beherrscht, waren die Zuschauer dann live dabei, wie sich das Unternehmen, vertreten durch seine Moderatoren, um Dialog bemühte. Ganz aufgeregt verkündete der Moderator zunächst die ersten aktuellen Kommentare. Eine Dame hatte sich schon einmal einen Rechner bei QVC bestellt und war damit zufrieden. Der Moderator damit dann ja auch.

Doch da, wenige Minuten später schon der nächste Kommentar. Nun wäre vorher lesen vielleicht eine gute Idee gewesen, aber so wurden wir mit der Äußerung konfrontiert, dass ein Facebook-Mitglied sich über die beiden Clowns amüsierte, so dass man um die Zeit noch etwas zu lachen habe. Die Miene unseres wackeren Redakteurs wurde etwas länger, aber man will sich ja nicht als humorlos zeigen.

Der Humor wurde dann zunehmend dünner, als die nächsten Kommentar eintrudelten. Von einem veraltetem Prozessor war hier die Rede und von einer billigen Ausstattung. Tja, mit hektischer Stimme teilten dann beide Moderatoren mit, dass ja nun irgendwo gespart werden müsse, sonst könne man diesen sensationellen Preis nicht halten. Und das Notebook landete in der Ecke und die Facebook-Seite blieb Facebook-Seite. Die Kommentare sind inzwischen auf der Seite auch komischerweise verschwunden.

QVC scheint mir hier noch am Anfang des Dialogs mit seinen Kunden und Interessenten zu stehen.