Ich will eigentlich nur schreiben

Texten Sie professionell? Damit meine ich nicht die immer wieder anfallende geschäftliche Korrespondenz oder einen kurzen Report an Ihren Vorgesetzten. Verbringen fast jeden Tag ausschließlich mit Ihrer Textverarbeitung? Ich tue das und stelle immer häufiger fest, wie
unsympathisch mir die Office-Pakete werden.

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Die Welt war idyllisch als ich mit meinem Studium begann. Wenn es Zeit war, die Seminararbeiten zu schreiben, gab es mich, meine Schreibmaschine, einige weiße Blätter und ein Konvolut aus Büchern, Notizen und Skizzen rund um eine nunmehr auf dem Dachboden verrottene Brother Schreibmaschine.

Was aus Sicht eines Büroangestellten vielleicht als das nackte studentische
Chaos präsentierte, war mein “Schreib-Cockpit”. Ich sah jederzeit, wie viel Text ich geschrieben hatte, konnte direkt etwas nachlesen und dann auch gleich umsetzen. Einzig die Forderung meiner Professoren mit Fußnoten zu arbeiten, war eine lästige Angelegenheit (Kennen Sie dieses Zeilenabschätzen noch?).

Dann kam die alles revolutionierende Anschaffung eines PC. Da wurde nicht geschrieben, sondern Text verarbeitet. Und mein Schreibtisch war plötzlich viel kleiner. Nun lagen meine Notizen und Bücher rund um die Tastatur und den ausladenden Monitor verstreut; allein mir fehlte die Übersicht!

In meinem Word 5.5 sah ich immer nur einen kleinen Ausschnitt von dem, was ich gerade schrieb. Okay, das mit den Fußnoten, das ging deutlich komfortabler, aber mal eben schnell nachschauen, was denn in einem anderen Abschnitt stand, wurde mühsam. Sicher, auch Word 5.5 kannte schon die Funktion der geteilten Fenster, aber letztlich war diese Funktion nur eine Krücke, die verhindern sollte, dass ich mich in den Weiten des Textes beim Nachlesen verlor. Wie “weit” ich denn war, verriet mir in kryptischer Form eine Statuszeile am unteren Rand, wo irgendwas von Abschnitt, Spalten und Seiten stand.

Heute ist die Welt bunter: Ich kann durch viele bunter Fenster auf meine Arbeit sehen (egal welches OS), tolle Formeln und Grafiken in meine Texte einfügen (sogar – welche Schwachsinn – Klangdateien) und werde, den Entwicklern sei dank, überwiegend bevormundet. Das eine Programm meint nach einigen Zeilen, es sei der Meinung ich wolle einen Brief schreiben, ein anderes streicht mir immer automatisch zwei Großbuchstaben am Wortanfang weg.

Alles toll, aber: Ich will eigentlich nur schreiben. Ich will meine Arbeit tun. Mehr nicht. Dummerweise gehören zu meiner Arbeit ein paar Vorgaben. Wenn ein Redakteur einen Artikel mit maximal 4000 Zeichen Länge bestellt hat, wäre es toll, wenn ich auch irgendwo ablesen könnte, wie viel ich davon schon geschrieben habe, ohne mich durch die Eigenschaftendialoge des “Dokuments” zu klicken oder mit Makros abzukämpfen.

Im Sinne der Bestandswahrung (wir können dem Anwender ja nicht ausgerechnet diese Funktion wegnehmen) hat sich aber an den Bedienkonzepten der Textverarbeitungen nichts geändert. MDI, SDI, ein paar Knöpfe mehr und der x-te Assistent, das war es denn auch schon. Wer mit seinem Text allein sein will, kann zwar eine Funktion aufrufen, die “Gesamter Bildschirm” heißt, die ihre Bezeichnung aber sehr wörtlich nimmt. Eine Information zusätzlich auf den Schirm zu rufen, wird zur Qual.

Auf der Ebene unter dieser UI wird es dann noch trüber. Das beginnt mit den Kerneln der Programme. Welche Affront ein Buch zu schreiben und eventuell viel mit Bilder zu arbeiten. Okay, OpenOffice ist da nach meiner Erfahrung deutlich stabiler als andere Lösungen, aber auch dieses Programm zeigt doch hin und wieder arbeitserschwerende Merkwürdigkeiten.

Wer dann noch tiefer in den Keller steigt, ist von der Fantasielosigkeit einer ganzen Branche erschüttert. Vielleicht will ich meine Arbeit gar nicht in “Ordnern” organisieren? Vielleicht möchte ich statt dessen etwas zu einem
Projekt machen und wenn ich dieses Projekt starte, wird mein Text, meine
Notizen und sogar gespeicherte URLs aufgerufen? Wenn ich mich recht entsinne, hatte OS/2 mal eine solche Funktion. Wenn ich mich nicht sklavisch an die vorgeschriebene Arbeitsweise des OS (bzw. des Desktop) halte, finde ich einen ehemaligen Schulkameraden im Internet schneller, als ein Dokument, das sich nun doch nicht am erwarteten Platz befindet.

Ich will einfach nur schreiben und meine Arbeit so organisieren wie ich es für richtig halte. Also Ihr UI-Spezialisten, Produktmanager und Marketingleute: Lernt von anderen Lösungen! Schaut Euch etwa Google Mail an: Das kommt wunderbar ohne Ordnerstruktur aus. Mit den Labels weise ich Nachrichten Projekten zu und auf Wunsch sogar automatisch. Schaut Euch Suchmaschinen an! Ich möchte nicht extra noch eine Software auf meinem System installieren, die sich wie ein Fremdkörper einnistet. Aber die schlichte Volltextsuche in meinen Dateien dauert heute deutlich länger, als eine komplexe Abfrage von Millionen von Dokumenten im Web. Gebt Menschen wie mir Werkzeuge, die sie nutzen, ohne sich anpassen zu müssen, damit sie sich auf das konzentrieren können, was sie wollen. Wie bei mir: Einfach nur schreiben…

6 Gedanken zu „Ich will eigentlich nur schreiben

  1. Reiner Baur

    Ich an Ihrer Stelle würde mal einen Blick auf Mellel werfen, eine erstklassige Textverabeitung für Mac OS X.

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  2. Simon

    Eine Vereinfachung kann ein 19″ TFT-Display mit Pivot-Funktion sein. Damit liest man eine komplette DIN A4 Seite vom Bildschirm.

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  3. Stephan

    Hallo Rainer,

    Textverabeitung für Mac OS X

    Das würde ich gern tun. Nur..hier läuft Linux.

    Und auf einen anderen Rechner gezwungenermaßen auch mal Windows. MacOS will ich mir nich auch noch antun.

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  4. Stephan

    Hallo Simon,

    Eine Vereinfachung kann ein 19” TFT-Display mit Pivot-Funktion sein.

    Das kann eine Vereinfachung sein, bestimmt sogar. Aber sie löst nicht das Problem der heutigen Anwendungen. Etwas hinkend: Spendiert das den Krücken neue Gummistopfen. Aber es bleiben Krücken…

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  5. ali

    nicht das Problem der heutigen Anwendungen. Etwas hinkend: Spendiert das den Krücken neue Gummistopfen. Aber es bleiben Krücken…

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  6. Anonymus

    Einfach nur schreiben? Dann würde ich LaTeX nehmen. Es löst nicht alle o.g. Probleme, bewahrt einen aber vor Abstürzen – und davor, sich mit Textsatz abmühen zu müssen. Das macht LaTeX nämlich selbst. Der User schreibt einfach nur.

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